Die Schweiz hatte ihren Elon Musk bereits vor 150 Jahren.

«… Es tauchen Pläne auf, gemäss denen die Bahnen um die Schweiz herumgeführt werden sollen. Der Schweiz droht somit Gefahr, gänzlich umgangen zu werden und infolgedessen in der Zukunft das traurige Bild einer europäischen Einsiedelei darbieten zu müssen.» Mit diesen Worten verlieh Alfred Escher Ende 1849 seinen Befürchtungen Ausdruck, dass die Schweiz den Anschluss an die Moderne verpassen könnte. Nicht ohne Grund, denn während im Ausland die Zahl der Eisenbahnkilometer stetig zunahm und die wirtschaftliche Entwicklung vorantrieb, war die Schweiz in dieser Beziehung ein rückständiges Land.» So beginnt auf Wikipedia der Abschnitt über Eschers Projekte. Und tatsächlich: Die damalige Schweiz hatte wenige komparative Vorteile und war klar eine Nachzüglerin in der Industriewirtschaft.  So schlimm ist es heute nicht. Natürlich nicht. Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt, mit einer starken Mittelschicht, einem hohen Lebensstandard und einer Wirtschaft, die seit mehreren Jahren die Nummer 1 im Global Innovation Index ist. Und doch kommt mir die Frage auf: Reicht das?

Escher verstand, dass die Industrialisierung die Spielregeln ändern würde. Dasselbe tut – einfach mit dreifacher Geschwindigkeit, zehnmal mehr Akteuren und rund um die Uhr – die Digitalisierung. Ein Begriff so diffus und vielschichtig wie es zu Eschers Zeiten «Industrialisierung» wahrscheinlich war. Die Karten werden nochmals neu gemischt. Eschers Mission bestand darin, die Schweiz zu einer bedeutenden Nation zu machen. So hat Escher neue Wertschöpfungsketten angelegt, die neue Gewinne geschaffen haben, von denen die Schweiz bis heute profitiert. Und darum geht es: Neue Wertschöpfungsketten müssen gefunden werden. Im Wissen, dass die damit verbundenen Disruptionen chaotisch sein werden.

Doch dafür war und ist eine neue Denkweise notwendig. Die der Moonshots. Der crazy Ideas. Der All-In-Mentalität. Wenn es um die Weichen für die Zukunft des Landes geht, sollte man nicht taktieren. Es sind kühne Statements gefragt. Viele feiern heute Elon Musk und wie er die Energiebranche revolutioniert. Aber wir hatten einen Elon Musk vor Elon Musk. Wir hatten einen Mann, der Tunnels durch Berge bohrte, als alle anderen im Flachland bauten. Alfred Escher war unser Elon Musk. Lange bevor es cool war. Stellen Sie sich vor, was für Pläne Escher heute wohl hätte… Wo ist er also, der neue Alfred Escher? Er ist überall. Escher verkörpert das schweizerische Unternehmertum. Sie, ich, wir alle können Alfred Escher sein. Seien wir keine Zuschauer. Packen Sie mit an. Niemand kennt alle Antworten. Stellen Sie die richtigen Fragen. Spielen Sie Szenarien durch. Teilen Sie Wissen. Wissen ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn es geteilt wird. Teilen Sie Ihre Erfahrungen. Die guten und die schlechten. Nur so profitiert das ganze System. Die Zeit der Ego-Shows ist vorbei. Die Herausforderungen sind zu gross und zu komplex für Ego-Programme. Eco-Systeme sind gefragt. Hören Sie nicht auf die Stimme, die sagt: «Ja, aber». Seien Sie wie Alfred.

«Ja, aber. Du willst ein Tunnel durch den Berg bauen? Du hast ja keine Ingenieure.»

«Egal, dann gründe ich halt das Polytechnikum und bilde sie aus.»

«Ja, aber. Du hast ja kein Kapital für so einen Jahrhundertbau» «Egal, dann gründe ich halt eine Bank»

«Ja, aber. Was ist mit den Arbeitern? Das aktuelle Angebot an sozialer Sicherheit passt nicht» «Egal. Dann gründe ich eine moderne Versicherung.»

Ich bin überzeugt, dass wir in einem ähnlichen Zeitalter wie die damaligen Pioniere leben. In unserem Leben werden wir noch oft staunen, wie sich die Schweiz und die ganze Welt verändern. Wie viel möglich sein wird. Escher verstand, dass er die Chance hatte, die Schweiz auf der grünen Wiese neu zu erfinden. Wir – Sie und ich – gestalten die Schweiz der Zukunft. Wir bestimmen in welchem Land wir leben wollen. In welchem Land unsere Kinder leben sollen. Sind wir als Schweiz bereit, den nächsten Sprung zu machen? Ich wünsche mir, dass wir «more Alfred» sind und diese Herausforderung anpacken.

Manuel P. Nappo